8. Tagung Kleinstberufe: 5. September 2019

Am 5. September 2019 fand am Standort Bern der Schule für Gestaltung Bern und Biel (SfG BB) die 8. Tagung der Kleinstberufe statt. Die erstmalige Abweichung vom traditionellen Tagungsort EHB (Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung) Zollikofen war doppelt veranlasst: So stand einerseits im Zentrum der Tagung die Vorstellung eines neuen Ausbildungsmodells, mit dem die SfG BB soeben in die Pilotphase gestartet ist. Entscheidend aber war letztlich die räumliche Nähe zum Zunftsaal der stadtbernischen Zunftgesellschaft zum Affen, wo im Anschluss an die Tagung zur Gründungsversammlung des Vereins «Netzwerk Kleinstberufe» geladen wurde.

Zukunftsgerichtete Ausbildung
An der SfG BB herrscht Aufbruchstimmung. Im August 2019, mit Beginn des neuen Lehrjahres, erfolgte der Stapellauf eines neuen Ausbildungsmodells, an dessen Ausarbeitung in den vergangenen zwei Jahren intensiv gearbeitet wurde. Christina Opper, Mitglied der Schulleitung SfG BB, präsentierte das neue Konzept, welches die Lernenden von fünf Berufen – Steinbildhauer, Steinmetz, Glasmaler, Goldschmied und Vergolder/Einrahmer – in den kommenden Monaten gemeinsam mit ihren Lehrpersonen auf seine Tragfähigkeit testen werden.

Handlungsbedarf wurde von Seiten der Schule schon seit längerem konstatiert. Vor allem die schwachen Mengengerüste bei den Lernenden dieser fünf Kleinstberufe gaben Anlass zur Sorge. Eine Möglichkeit, das Problem zu lösen, sah man in den bestehenden Überschneidungen in Bereichen der Ausbildung: Gelänge es, berufsübergreifende Lehrpläne auszuarbeiten, könnte man Klassen zusammenlegen. Was in der Theorie simpel klingt, erwies sich in der Praxis als überaus zeit- und arbeitsintensive Herausforderung. Die Bildungsverordnungen aller fünf Berufe seien penibel studiert und auf gemeinsame Themengebiete durchforstet worden, erläuterte Christina Opper das Vorgehen. In insgesamt sechs Bereichen fand man Potential für gemeinsamen Unterricht in der Unterstufe (1./2. Lehrjahr), vier davon wurden für die Umsetzung in der Pilotphase ausgewählt: «Grundlagen der Gestaltung», «Kundenberatung», «Technisches Zeichnen» und «Kunstgeschichte und Stilkunde» bilden neu Module, die von den Lernenden von zwei oder mehr der oben genannten Berufe gemeinsam besucht werden. Das Ergebnis dieser Massnahme war beinahe epochal: Durch das Zusammenlegen der Unterstufe konnte nicht nur, wie erwartet, ein grösseres Mengengerüst geschaffen werden, sondern erstmals seit vielen Jahren wurde im Sommer 2019 auch die kritische Grenze von 25 Lernenden erreicht, so dass eine zweite Klasse gebildet werden konnte – was es der Schule nun ermöglicht, das 1. und 2. Lehrjahr getrennt zu unterrichten. Dies wiederum bedeutet eine Verbesserung des Unterrichts.

Zwei Klassen bei gleicher Anzahl Lektionen, berufsübergreifender Unterricht bei strenger Einhaltung jeder einzelnen Bildungsverordnung – ein beeindruckendes erstes Resultat des neuen Konzepts. Die erforderliche Zusammenarbeit zwischen den Lehrpersonen führe nebenbei auch automatisch zum heute geforderten Handlungskompetenz-orientierten Unterricht, betonte Christina Opper: «Die Lehrpersonen entwickeln im Team gemeinsame Projekte für die Lernenden. Das ist ein natürlicher Vorgang, der bei enger Zusammenarbeit beinahe zwangsläufig entsteht.»

Ob sich das neue Konzept in der Praxis bewähren wird, muss sich zeigen. Unter den «Testpiloten» befinden sich übrigens auch zwölf Lernende der Steinberufe, die im Sommer 2019 an der SfG BB neu angefangen haben.

Reformkonzept für die Oberstufe
Die SfG BB beschränkt sich in ihren Reformen nicht auf die Grundstufe. Wie auch im 3. und 4. Lehrjahr der Unterricht sowohl für die Lernenden als auch für die Lehrpersonen verbessert werden kann, machen die Goldschmiede seit einem Jahr vor: Auf Initiative von Benjamin Friedli, Berufsgruppenleiter der Goldschmiede an der SfG BB, werden hier sogenannte «Offene Modulkurse» durchgeführt. Die Lernenden besuchen an sechs aufeinanderfolgenden Montagen ein Modul zu einem speziellen Thema, das jeweils von einer hierauf spezialisierten Lehrperson unterrichtet wird. Diese Modulkurse können auch von interessierten Berufsleuten besucht werden. Anstoss zur Reform sei für ihn in erster Linie die unbefriedigende Situation gewesen, als Alleinlehrer alle Bereiche des Unterrichts abdecken zu müssen und damit nicht überall seinen eigenen Ansprüchen genügen zu können, berichtete Friedli. Die Verteilung des Unterrichts auf mehrere Lehrpersonen scheint Erfolg zu haben: Die Evaluation durch die Lernenden nach einem Jahr war durchwegs positiv. Besonders geschätzt wurden die Themenvielfalt, die Möglichkeit, Neues zu entdecken, und nicht zuletzt auch die Begeisterung und das Engagement der Lehrpersonen.

Fallstudien, Mehrsprachigkeit, Homepage
Weitere Themen der Tagung: Alexandra Strebel (EHB) präsentierte im Rahmen von drei Fallstudien Forschungsresultate zu Erhalt und Entwicklung von Kleinstberufen; Kathrin Jonas (ebenfalls EHB) gab Einblicke in den neuen Mehrsprachigkeit-Didaktikkurs; und Tony Bucheli stellte die frisch aufgesetzte Homepage der Kleinstberufe vor, zu erkunden unter der vertrauten Adresse www.kleinstberufe.ch

Franziska Mitterecker in Kunst und Stein 5/19

 

 

 

 

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